Robag Wruhme im Porträt: Musik für die Seitenstraßen
© Katja Ruge

Robag Wruhme im Porträt: Musik für die Seitenstraßen

Features. 11. September 2022 | 5,0 / 5,0

Geschrieben von:
Nikta Vahid-Moghtada

Vor etwas mehr als einem Jahr hat der Thüringer Produzent und DJ Robag Wruhme sein Label Tulpa Ovi gegründet – inmitten der Pandemie. Vier Releases sind bisher erschienen, die allesamt Eigenproduktionen sind. Als Musik für die Seitenstraßen bezeichnet er die Tracks, die Robag Wruhmes unverwechselbare Handschrift tragen. Im Gespräch mit DJ LAB verrät der Künstler, wie es zur Labelgründung kam, was die Pandemie damit zu tun hat und wie er den Spagat zwischen Partys und politischer Realität meistert.

Während die Welt unter der drückenden Sommerhitze ächzt, sitzt Gabor Schablitzki im Dachgeschoss seines Hauses in Bad Berka und lächelt – nachdenklich, aber zufrieden – zum Sound seines leise rauschenden Ventilators. Entspannt wirkt er, nur ein bisschen müde vom Vorabend-Gig sei er schon, gibt er zu.

Diesen Sommer habe er so einiges nachzuholen, sagt der Thüringer DJ und Produzent, der besser unter dem Alias Robag Wruhme bekannt ist. Die harte Pandemie-Zeit scheint vorüber und lässt Künstler:innen wie ihn nun wieder durch Clubs und über Festivals touren und Geld verdienen. „Ich bin jetzt sowas von gerne unterwegs.” Das sei nicht immer so gewesen, sagt der Musiker, der sich gerne stundenlang in seinem Studio zum Musikmachen zurückzieht und dabei die Zeit vergisst. „Ich habe gelernt, dass das Touren aber auch zu meinem Beruf gehört.” Dass Schablitzki Hummeln im Po und Bock auf die anstehenden Termine hat, ist ihm sichtlich anzumerken.

Die Reisen, das gibt er auch zu, werden auch durch die Wahl seines Wohnorts sichtlich erschwert: Steht ein internationaler Gig an, folgen mehrere Etappen, die im beschaulichen Thüringen starten: Zuerst zum Flughafen Halle/Leipzig, von dort aus geht es weiter zum großen Verteiler Frankfurt am Main. Aber die Strapazen nehme er gerne in Kauf, sagt Schablitzki. Thüringen sei schließlich seine Heimat und sein wichtigstes soziales Umfeld vor Ort.

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Im Juli erst hat Robag Wruhmes eigenes Label Tulpa Ovi ersten Geburtstag gefeiert. Vier Releases sind bisher erschienen, allesamt Eigenproduktionen, zuletzt ein Remix für Stimming. Das Label, das nach einem Song seines ersten Albums ‘Thora Vukk’ benannt ist, bezeichnet der Thüringer als seine „kleine, persönliche Spielwiese” – entstanden aus der schwammigen Corona-Zeit, in der niemand so recht wusste, wie es weitergeht. Und aus der Sorge heraus, DJ Kozes Label Pampa Records, auf dem Robag Wruhme zuletzt veröffentlichte, könnte vor dem Aus stehen.

Auf Tulpa Ovi will der Produzent und DJ nun „Dinge, die schon mal herausgekommen sind, ins Heute transferieren oder transformieren”. Bisher erscheinen also Tracks aus dem Archiv. Robag Wruhme sucht und findet sie, die versteckten, digitalen Schätze auf alten Festplatten. Seine Kunstwerke der vergangenen Jahre, die nun peu à peu auch eine Hörerschaft finden sollen. „Ich bin beeindruckt von dem Material, das ich gefunden habe. Da gibt es viel Zeug, das man veröffentlichen kann”, sagt der Künstler grinsend – und es klingt, als spreche er von selbst verräumten Dachbodenschätzen, die er nun hervorholen und versteigern muss.

Auf der nach wie vor sehr minimalistisch gehaltenen Webseite seines Labels finden sich nur folgende Worte: „My music and I in the spirit of the times, but not before and not behind, but somewhere in between? A side street, maybe; I like them better than the main streets, because you can still discover things. That’s exactly where I want to be.” Wohl alle, die sich beim letzten Städtetrip in ruhige Nebenstraßen verirrt haben, wissen, was Robag Wruhme meint. „In den Seitenstraßen entdeckt man noch einen kleinen Laden, in dem man irgendwas kauft, das einen das ganze Leben begleitet”, sagt er. Seine Musik sei für eben jene Momente gemacht. „An die Spitze der Szene” gelangen, das wolle er damit nicht – und stattdessen Musik für besondere Momente schaffen.

Auch was die Zukunft des Labels angeht, äußert sich der Künstler vorsichtig: „Wenn die Sache läuft und ich einen Überblick und ein Gefühl dafür bekommen habe, dann soll das Label natürlich auch offen sein für andere Künstlerinnen und Künstler.” Wohin jetzt die Reise ganz genau gehe, könne er noch nicht sagen.

Spagat zwischen Technoszene und politischer Realität

Die vier Releases sind bisher nur digital erschienen. Warum nicht auf Vinyl, das werde er immer wieder gefragt. Das habe er noch mit sich „auszubaldowern”, getreu dem Motto: Alles kann, nichts muss. In der Vergangenheit habe er sich davor gescheut, ein eigenes Label zu betreiben. „Pandemiebedingt bin ich den Schritt gegangen. Aber dadurch, dass ich jetzt wieder normal arbeiten kann, fühlt es sich ganz gut an, dass kein Druck da ist.” Und das sei die beste Grundlage, sagt der 48-Jährige: „So eine kleine Pflanze wachsen zu sehen. Was daraus wird, weiß ich nicht, aber ich bin froh, dass es sie gibt.”

Normal arbeiten – das heißt für Robag Wruhme auch, vor dem Hintergrund der aktuellen Nachrichtenlagen aus Krieg, Inflation und Pandemie, DJ-Gigs vor einer feiernden Meute zu spielen. Aber die Begegnung mit Krieg in seinem Beruf habe nicht erst mit dem 24. Februar dieses Jahres begonnen, sagt er. Und erinnert sich zum Beispiel ans Jahr 2008: „Zwei Tage, bevor ich zum ersten Mal in Tbilisi spielen sollte, hat das Auswärtige Amt die Reisewarnung ausgegeben.” Dann begann der Kaukasuskrieg zwischen Georgien und Russland. 2016 sei, kurz nachdem Robag Wruhme ein Flugzeug am Atatürk-Flughafen in Istanbul betreten hat, der Anschlag verübt worden, bei dem 45 Menschen gestorben und mindestens 160 verletzt worden sind.

© Katja Ruge

Auch im Gespräch wird immer wieder deutlich, wie sehr sich der Musiker mit dem Spagat zwischen Technoszene und politischer Realität auseinandersetzt. „Das waren immer wieder Momente, in denen ich merke: Wir müssen noch viel tun. Dass wir für Zustände, die vorherrschen, Lösungen finden.”

Egal wo auf der Welt er spiele – es sei doch überall gleich: „Eine Veranstaltung besteht immer aus Menschen, die ihre Woche draußen vor der Clubtür oder dem Festivalgelände stehen lassen und tanzen und lachen wollen.” Das sei doch eigentlich ein super Rezept, sagt Schablitzki und fügt nach kurzer Stille hinzu: „Wie kommen Menschen dann auf die dumme Idee, Waffen in die Hand zu nehmen.”

„DJs sind Dienstleister:innen, die ein Handwerk betreiben”

Weg von den großen Fragen der Welt, hin zu den kleineren, die den Musiker ebenso beschäftigen: Etwa die Diskrepanz zwischen DJ und Produzent, die er immer wieder zu spüren bekommt. „Wir sind umzingelt von so viel Musik und kaum einer kommuniziert noch, wer sie komponiert”, sagt der Musiker. Das Publikum denke demzufolge immer nur bis zum DJ – und viele wüssten nicht einmal, dass ein DJ nur fertige Stücke ineinander mischt. „Das ist ein Handwerk. Das sind Dienstleister:innen, die ein Handwerk betreiben.

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Er verdeutlicht das Dilemma anhand einer kleinen Anekdote: „Ich habe mal ein Stück gemacht, das Sven Väth in einem Boiler-Room-Set gespielt hat. Zwei Wochen später habe ich bei einer Veranstaltung aufgelegt und dieses Stück gespielt. Und es kam jemand an mit den Worten: Hey, super geiles Stück von Sven Väth!” Das tue weh, sagt Schablitzki. Und es führe vor Augen, dass sich kaum einer mehr die Mühe mache zu recherchieren, wer hinter Tracks steckt, die im Club laufen.

Schablitzki meint, dass es schon schlimm genug sei, dass manche DJs Tausende Euro pro Abend verdienten – mit der Musik von Leuten, die so gut wie gar nicht davon profitieren. Doch Streamingdienste wie Spotify befeuerten dieses unkontrollierte Konsumieren von Musik nur noch. „Ich bin ja nun beides: Auf der einen Seite Musikproduzent und Komponist, und auf der anderen Seite DJ”, sagt er. Die Jobs selbst trennt er jedoch und sieht letzteren ganz pragmatisch: „Ein DJ ist in erster Linie ein Dienstleister. Kreativ ist lediglich die Auswahl der Musik, um damit einen Spannungsbogen zu kreieren, der sich auf der Tanzfläche widerspiegelt”, sagt er.

Doch der 48-Jährige hört nicht auf, neue Tracks zu produzieren, die auch mal ein paar Jahre auf Festplatten ruhen und nun frisch aufpoliert auf Tulpa Ovi erscheinen. Beim Musikmachen, sagt er, verarbeite er all die Eindrücke, die auf ihn einprasseln. Das sei seine Medizin, um die Dinge zu verarbeiten. Und so entstehen Tracks, denen man all die Gedanken, die er sich macht, anhört. Und Tracks für die Momente, in denen die Woche vor der Clubtür warten muss.

Veröffentlicht in Features und getaggt mit Bad Berka , Gabor Schablitzki , Pampa Records , Robag Wruhme , Tulpa Ovi

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