Test: Google NSynth Super

Test: Google NSynth Super

Tests. 13. Oktober 2018 | / 5,0

Geschrieben von:
Steffen Sennert

Dieses Jahr hat Google sein laufendes Musikprojekt NSynth zusammen mit dem dazugehörigen NSynth Super Interface vorgestellt. Der NSynth ist ein Teil des vom Google Brain Team gegründeten Magenta Forschungsprojekts, bei dem es darum geht, herauszufinden wie Werkzeuge der künstlichen Intelligenz Kreativen dabei helfen können, Kunst und Musik auf neue Art und Weise zu erschaffen. Das “N” im Namen steht für ‘neural’. Gemeint sind damit (künstliche) neuronale Netzwerke, die ähnlich wie das menschliche Gehirn aufgebaut sind und selbständig lernen. Wer sich damit tiefgehender befassen möchte, dem sei die offizielle Website empfohlen. Ein solches Netzwerk wird beim NSynth Super verwendet, um die Eigenschaften von Klängen zu lernen und dann basierend auf diesen Eigenschaften einen völlig neuen Klang zu erzeugen.

Neben dem Algorithmus wurde, um der Software ein Gesicht und dem User vereinfachten Zugriff zu geben, auch der NSynth Super entwickelt. Dieser ist ein aus einer Platine bestehendes Interface mit mehreren Reglern, einem berührungsempfindlichen Touchfeld sowie MIDI-Eingang und Audioausgang. Sowohl der NSynth Algorithmus als auch das Kontroll-Interface wurden als Open-Source-Projekte veröffentlicht; die Designfiles für die Platine sowie die verwendeten Bauteile sind also frei verfügbar.

What about?

Das Video zur Ankündigung zeigt einen schicken Controller mit einem großen farbigen Touchdisplay, der synchron mit einer TR-08 aus der Boutique-Serie gespielt wird. Das Touchdisplay dient dazu, zwischen vier Soundquellen zu “morphen”. In jeder Ecke des Controllers befindet sich ein Encoder, mit dem man das Ausgangsinstrument auswählt. Die Variante zum Selberbauen verzichtet auf den großen Touchscreen und hat stattdessen ein auf der Platine integriertes Touchfeld sowie ein kleines monochromes OLED-Display. Die interessanten Audiobeispiele des Gerätes sowie die Tatsache, dass ich mal wieder selbst einen Synth zusammen bauen kann, haben mich direkt in Kauflaune versetzt. Doch einfach kaufen kann man das Ding leider nicht: Google stellt zwar alle benötigten Dateien, Listen der Bauteile und Software bereit, jedoch gibt es keinen Hersteller, der das fertige Gerät oder eine fertige Platine verkauft. Wer den NSynth Super besitzen will, muss alle benötigten Teile selbst bestellen, die Platine anfertigen lassen und dann alles zusammenlöten.

Do It Yourself

Gesagt, getan! Glücklicherweise betreibt Google ja zufälligerweise auch eine Suchmachische, die mir bei der Suche nach einem Hersteller für die Platine sehr hilfreich war. Da eine Einzelanfertigung der Platine ziemlich teuer werden kann, habe ich mich bei zwei Sammelbestellungen eingeklinkt und jeweils ein Exemplar geordert. Es gibt zwei verschiedene Versionen: Einmal nur die Platine und einmal die Platine bestückt mit den meisten Bauteilen. Ich habe mich für letzteres entschieden und ungefähr 50 USD inklusive Versand bezahlt. Nach circa fünf Wochen kam dann endlich das erste Exemplar an.

Die übrigen benötigten Teile (vier Encoder, sechs Potentiometer, Miniklinken- und MIDI-Buchse, das Display, ein Raspberry Pi Computer und die SD-Karte) habe ich bei verschiedenen deutschen Anbietern erstanden. Das bereitgestellte BOM-File (Bill of Materials) verfügt aber auch über Links zu anderen internationalen Anbietern.

Die Platine ist also angekommen, die übrigen Bauteile sind es auch, dann kann es ja eigentlich losgehen. Eigentlich, denn leider bemerke ich während ich den Lötkolben anheize, dass die Bauteilliste leider ein Teil nicht gelistet hat: Die extra hohen Verbindungsheader zwischen der Platine und dem Raspberry Pi. Ich löte trotzdem schon einmal die MIDI- und Miniklinken-Buchsen sowie die Drehregler und das Display an. Das 16GB große Software-Image für den Raspberry Pi lade ich auch herunter und spiele es auf die SD Karte.

Ein paar Tage muss ich noch warten, dann ist endlich auch das fehlende Teil angekommen. Zunächst muss man den Raspberry Pi an einen Bildschirm anschließen und mit einer USB-Tastatur ein paar einfache Einstellungen vornehmen. Dann schließe ich ein MIDI-Keyboard via USB an, diese Verbindung wird aber leider nicht standardmäßig unterstützt, schade. Mit einem echten MIDI-Keyboard kann der NSynth schließlich richtig getestet werden.

Der erste Test

Zunächst kann ich meinen Ohren nicht ganz trauen, es klingt, als würde etwas nicht stimmen: Aus meinen Boxen ertönt ein schwammiger Mix aus schlechten MP3s und Knacksen. Wow, das hätte ich nicht erwartet. Ich überprüfe noch mal die Platine und die Kontakte, aber es ändert sich nichts. Nach einer kurzen Recherche im Internet stelle ich fest: Das ist scheinbar richtig so. Der Algorithmus verwendet als Ausgangsmaterial Samples mit einer ziemlich niedrigen Samplerate, da die Berechnungen sonst zu aufwändig wären. Mit einer niedrigeren Samplerate verkleinert sich allerdings auch auch der Frequenzumfang. Und das ist deutlich zu hören: Das Spektrum hört abrupt nach der 7-kHz-Marke auf, darüber gibt es zwar immer mal ein Signal, allerdings klingt das nicht wirklich befriedigend.

Wurde hier vielleicht vergessen, das Spiegelspektrum rauszufiltern? Ich weiß es nicht. Was ich aber weiß: Auf eine gedämpfte Einschwingphase wurde verzichtet. Es gibt mehrere Einstellungen, bei denen der NSynth Super sehr unangenehme Knackser und Klicklaute produziert (vergl. Audiobeispiele). Das kann zwar eine gewollte Entscheidung sein, ist für mich in diesem Fall aber mehr als unpassend. Zu dem Bit-reduzierten Soundbrei kommt also noch regelmäßiges Knacken hinzu, wenn man die Sounds per Touchfeld morpht oder eine zu kurze Attack-Zeit eingestellt hat.

Apropos Attack: Der NSynth verfügt über vier Potis für Attack, Decay, Sustain Release. Des Weiteren gibt es einen Lautstärkeregler und ein Poti, um die Samplelänge des Ausgangssignals zu verkürzen. Verkürzt man das Ausgangssample, so verkürzt sich gleichzeitig der eigentliche Klang, was bei bestimmten Einstellungen die ADSR-Regler unnötig werden lässt.

Fazit

Ich weiß nicht recht, ich habe mir das irgendwie anders vorgestellt. Der NSynth Super ist zwar super dokumentiert und die Aufbauanleitungen sollten den meisten Bastlern keine Probleme bereiten, jedoch klingt er ziemlich flach und matschig. Versteht mich nicht falsch, Lo-Fi kann auch sexy sein, wie Sampler aus den 90ern. Ich hatte mir aber von dem hochgepriesenen Algorithmus etwas präzisere Klänge erhofft. Um fair zu bleiben: Man kann dem NSynth Super durchaus auch interessante Klänge entlocken. Es macht allerdings keinen Spaß, dass das Teil dauernd knackst, wenn man den Klang variiert. Insgesamt ist das Ganze wohl (noch) mehr ein Experiment als ein ernstzunehmendes Instrument. Da es aber auch als Open-Source-Projekt gedacht ist, wird sich das hoffentlich noch in Zukunft ändern, denn vom Prinzip her ist der NSynth Super ein spannendes Projekt. Bis dahin hat er mich aber noch nicht überzeugt. Wer sich ein eigenes Bild von dem Stück machen möchte, kann das auch, ohne den NSynth Super zu bauen: Es gibt den NSynth auch als ein Ableton Live Instrument, die Klangqualität bleibt allerdings die gleiche. Hier geht es zum Download.

Pro

Gut dokumentierte Anleitung
Innnovatives Prinzip

Kontra

Enttäuschender Klang

Preis:

Selbstbau, ungefähr 150 €

Veröffentlicht in Tests und getaggt mit diy , google , NSynth , Nsynth Super , Producing

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