Album-Review: DJ Seinfeld – Mirrors [Ninja Tune]

Album-Review: DJ Seinfeld – Mirrors [Ninja Tune]

Features. 4. September 2021 | / 5,0

Geschrieben von:
Christoph Benkeser

DJ Seinfeld hat eine neue Platte veröffentlicht. Bei Ninja Tune, mit viel Tamtam. Ohne was dahinter. Wer die letzten fünf Jahre nicht jede einzelne Platte abfeierte, die der Musiker aus Schweden rauswürgte, kann sich die nächsten drei Minuten auch Rave-Videos aus der Viva-Vergangenheit reinziehen oder über Porträts von Künstlerinnen linsen, die mehr Groove im Haaransatz haben als Seinfeld in seinem Meme-Approach. Anders gesagt: Auf den folgenden Zeilen könnten bei Die-Hard-Fans vermehrt Nebenwirkungen wie erhöhter Puls, starkes Schwitzen oder das Verlangen nach dem Tod des Autors auftreten. Schließlich ist 'Mirrors' so etwas wie House für Leute, die noch nie House gehört haben – ein Vierviertel-Plumpsklo für alle, die die Rooftop-Party im Hugo-Boss-Polo crashen und mit House weniger Chicago als Ferraris auf dem Sunset Boulevard assoziieren.

Das mag nach einem Frontalangriff auf einen Producer klingen, der es mit Lo-fi-House zu internationalem Fame gebracht hat. Tatsächlich war das damals eine lustige Zeit. Wer hat schon was gegen Vaporwave-Memes, die sich durch die VHS-gefilterte YouTube-Timeline quetschen, um an kalifornischen Küsten mit pastellfarbenen Delfinen zu planschen? Eben. DJ Seinfeld zelebrierte einen Moment in der elektronischen Musik, der keine Zukunft vor sich hatte, sondern nur die Vergangenheit kannte. Eine, die natürlich nie passiert ist – aber zumindest das Gefühl transportierte, irgendwann durch eine verlassene Shopping Mall geschlendert zu sein oder Pepsi geil gefunden zu haben.

Mittlerweile klackern Nicht-Beats auf Chill-Playlisten, am Badestrand von Bibione oder beim Ritalin-Entzug im Jura-Jahrgang. Kein Wunder, dass DJ Seinfeld genug von der Sache hatte. 'Mirrors' ist der Versuch, die eigene Vergangenheit umzurühren wie eine Joghurtecke von Müller. Und sie abzurubbeln wie den Clubstempel am Handgelenk. Heidi Klum würde sich bei einem derart angestrengten 360-Grad-Makeover vor lauter Aufregung in den Hosenanzug scheißen. Seinfeld lässt die Haare dran, weil er lieber selbst ins Verderben springt. Mit 2-Step, Vocals und einem Geklatsche, das auf der Mainstage vom Tomorrowland schon vor zehn Jahren nach einem Fürzchen von David Guetta klang.

Der Gestank legt sich aber nicht, sondern zieht mit 'She Loves Me' auf die Bühne. Der Scheinwerfer strahlt, das Herz rast, Stille. Alle warten, was passiert. Bloß: Seinfeld hat seine Seele längst an den Teufel verscherbelt und darf nur noch mit Samples von Loopmasters rumeiern. Einmal zwitschert der Wald. Ein anderes Mal rasselt Seinfeld durch die Masterclass von Deadmau5. Und bei manchem Melodie-Gekreische kann man nur hoffen, dass die Swedish House Mafia in bälde Betonfüße gießt. Seinfeld erlaubt sich schließlich den Spaß, das eigene Unvermögen mit Stimmen zu kaschieren, die über Breaks säuseln, bei denen selbst Ray-Ban tragende Dachterrassen-DJs vor Entsetzen die Hemdärmel hochkrempeln.

Quält man sich durch zehn Stufen der Seinfeld’schen Einfallslosigkeit, wird man den Verdacht nicht los, dass hier jemand ein Album mit dem Ziel produziert hat, sich auf direktem Weg in die Beatport Summer Vibes Collection zu schießen. Ohne Umwege. Nur rein ins Inferno. Man will es dem Producer nicht verübeln, seitdem die Future-Kids EDM totgeprügelt haben, ballert House aus allen Bluetooth-Boxen. House, der keiner ist, den aber alle so nennen, weil Alben wie 'Mirrors' mit der Vorstellung dessen spielen, was Leute inzwischen von elektronischer Musik erwarten.

Das House jemals etwas auslösen konnte – ein Gefühl, einen Gedanken, vielleicht sogar einen Moment, an den man sich später wieder erinnern kann –, ist spätestens nach der zweiten Nummer vergessen. Bei Seinfelds 08/15-Gejaule friert das Gefühlsbarometer zwar nicht ein, schlägt aber aus in einen Bereich, der zwischen totaler Belanglosigkeit und abgrundtiefer Verachtung herumzittert wie ein Alki auf Entzug. Das könnte so weit führen, dass man sich aus akuter Langeweile Shirts von Camp David ordert, um sich coked up im Spiegelbild des Glastisches zu bewundern. Das Ergebnis: nicht schön, eher traurig. Und ziemlich boring.

Disclaimer: Wir veröffentlichen diese Rezension als Perspektive des Autors und stehen ausdrücklich hinter seiner Expertise als Musikjournalist sowie der Entscheidung den Artikel zu veröffentlichen. Zur besseren Einordnung aber auch: Als Review bildet dieser Beitrag nur einen von vielen Blickwinkel, nicht aber die Meinung unseres Online-Magazins in seiner Gänze ab. 

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