Review: Leon Vynehall – DJ-Kicks [!K7 Records]
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Review: Leon Vynehall – DJ-Kicks [!K7 Records]

Features. 9. Februar 2019 | / 5,0

Geschrieben von:
Tim Tschentscher

Mit Nummer 67 der Erfolgsreihe DJ-Kicks beginnt das Berliner Label !K7 Records das Jahr 2019 mit einem weniger housig-technoiden Set, als es die Vorgänger-Ausgabe von Robert Hood tat. UK-Produzent und DJ Leon Vynehall lebt hier vor allem seinen breitgefächerten Eklektizismus aus und liefert mit 26 Stücken eine wenig vorhersehbare Auswahl persönlicher Tracks und Einflüsse. Hauptaugenmerk: Alles, was an den Rändern elektronischer Musik geschieht. Vynehall selbst feierte 2018 mit der Veröffentlichung des Debütalbums 'Nothing Is Still' über UK-Independent-Label Ninja Tune seinen Durchbruch. Auch weil er sich dabei mit diesem Konzeptalbum stilistisch spürbar vom Deep-House-Tagesgeschäft entfernte und neo-klassische Komponente mit Ambient-Texturen verwob.

Solche Stimmungsmuster sucht man hier allerdings vergebens. Möchte man mehr über die persönlichen Ursprünge Vynehalls erfahren, so findet kreativer Dekonstruktivismus allenfalls implizit über die Art der Selektion statt. Dabei variiert der Brite immer wieder zwischen Drum 'N Bass und Jungle, Footwork und Juke oder jamaikanischem Dancehall bis hin zu japanischem Pop-Rock. An anderer Stelle würde man Augenwischerei attestieren, immerhin hat so ein Mix auch eine unausgesprochene Verantwortung, HörerInnen nicht zu überfordern. Und möglicherweise schafft die über zweistündige Zusammenstellung als obligatorisch zusammengestauchter Continous-Mix dies nicht. Begreift man Vynehalls DJ-Kicks aber eher als Playlist, zeigt sich bereits ein anderer Anspruch.

Lediglich zwei Stücke steuert er selbst bei, hauptsächlich aus funktionellen Gründen. Beginnend mit dem Track 'Who Loved Before' zeigt Vynehall vor allem in der ersten Hälfte sein vielfältiges musikalisches Interesse. 'Ducee’s Drawbar', Vynehalls zweites DJ-Kicks-Exclusive, dient ab zirka der zweiten Hälfte als sinnbildendes Trennelement. Das schafft nötige Varianz. Es fällt immer wieder auf, wie deutlich sich einzelne Tracks voneinander unterscheiden, durch das richtige Timing aber kaum deplatziert wirken. 'Genie', ein entschleunigt-schwebender Space-Dancehall-Entwurf, reiht sich an Tomagas Modular-Synth-Experiment 'Giant Bitmap'. Ein De-Fabriek-Frühwerk einer ursprünglich 1985 erschienen Compilation reiht sich an ein Frühwerk von Yellow Magic Orchestra-Gründer Haruomi Hosono, einer der wichtigsten Electro-Pop-Bands aus Japan.

Das ist natürlich alles auch ein Stück weit Show-Off, klar. Derart unbemühte Querverbindungen zwischen kaum verwandten Stilen ziehen zu können, ist hier aber Vynehalls Kernexpertise. Mit nur einem Augenschlag folgt auf 2018er Breakbeat, 1990er UK-Soul, kanadischer Synth-Pop von 1988 und Ellen-Fullman-Gefrickel. Man möge sich mal vorstellen, in welchem Mindset Vynehall bei der Auswahl seiner Tracks gewesen sein mag. Das Ganze verbleibt aber nicht ausschließlich als Zurschaustellung alter Perlen. UK-Bass-Produzent Ploy, Pavilion und House-DJ Peach steuern bislang unveröffentlichte Stücke bei. Auch Aphex Twins 'Children Talking' erscheint mit der Vinyl-Variante erstmals auf Hartplastik.

Vor allem mit der ersten Hälfte ignoriert Vynehall sämtliche Ansprüche auf Dancefloor-Tauglichkeit. Erst im späteren Verlauf lockert das Ganze auf. So wirkt das Uptempo-Finale aus einer Handvoll Jungle und Footwork-Stücken versöhnlich. Der Höhepunkt tanzbarer Tracks kündigt gleichzeitig auch den Schlusspunkt an: Jana Rushs 'Divine', ein langsam ausklingender Chicago-Juke-Track, der sanft in Robert Haighs Klavier-Closer 'Music For Piano' hinübersäuselt. Leon Vynehalls Eintrag in das DJ-Kicks-Register spiegelt gleichzeitig wider, warum sein Debütalbum 'Nothing Is Still' in den letztjährigen Top-Listen häufig so weit oben landete: seine unbestreitbare Handwerkskunst und stilistische Offenheit.

'DJ-Kicks' erschien am 1. Februar auf !K7 Records.

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