Tripbericht & Album-Review: Out Of Place Artefacts live im Zenner Berlin

Tripbericht & Album-Review: Out Of Place Artefacts live im Zenner Berlin

Allgemein. 9. Oktober 2022 | / 5,0

Geschrieben von:
Simon Ackers

Direkt an der Spree, gleich gegenüber der Insel der Jugend, etabliert sich gerade der Zenner als eine neue Adresse in Berlins Technoszene. Und wenn man sich irgendwie in einer Stadt voller Electro-Überfluss einen Namen machen will, braucht man natürlich gutes Line-up und ein Alleinstellungsmerkmal. Das Team des Zenner hat sich dafür die 180 Minutes Reihe ausgedacht. Statt tagelanger Raves sollen einzelne Artists volle drei Stunden Aufmerksamkeit bekommen. Techno als Konzert statt ausufernder Clubnacht.

Die Idee ist natürlich nicht neu, aber dennoch ist das Live-Spiel in der Technomusik nach wie vor ein nicht vollständig durchdrungenes und ausdiskutiertes Konzept. Der Zusatz „Live” ziert zwar immer mehr Artist-Namen auf dem Line-up, in der Hitze eines langen Raves aber wird wohl kaum jemand in dem Moment Notiz davon nehmen, ob das, was gerade musikalisch passiert, ad hoc entsteht oder aber schlicht abgespielt wird. Warum also nicht mehr Raum für den Live-Kontext schaffen und einen Abend die Sinne des Publikums dafür schärfen? Nachdem zuletzt Mathew Jonson dort groß aufspielen durfte, präsentierten sich jetzt Rødhåd und Vril für drei Stunden im Zenner.

Das Duo stellte sich 2020 unter dem Namen Out Of Place Artefacts vor und das angekündigte Debütalbum empfing man mit einigen Vorschusslorbeeren. Schließlich tat sich da ja nicht irgendwer zusammen, sondern zwei Musiker, die seit geraumer Zeit den Techno mit ihrem eigenen Stil prägen. Vril, seit jeher Live-Künstler, schob sich aus dem Fahrwasser des großen Giegling-Hypes raus und etablierte sich als eine der eigenständigen Stimmen in der hiesigen Technoszene. Vordergründig liegt das an seinem wunderbaren Gespür für kleinste Melodien, einer Menge Wärme und der Stärke, noch jeden Loop akribisch bis zur Perfektion auszuarbeiten.

Rødhåd dagegen ist Sinnbild der 2010er Jahre und längst großer Berlin-Dino. Sein dystopischer Sound hüllte sich ganz in Schwarz und ergründete sich auf brutalistischen Klangmauern. Mittlerweile, noch immer in düsterem Gewand und zwei Labelgründungen später, widmet sich Rødhåd mehr dem Experiment und statt jedes Wochenende DJ-Arbeit nach Vorschrift, wird gesucht, was denn in dem Genre noch alles zu finden ist.

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Die erste LP als Out Of Place Artefacts konnte also quasi gar nicht schiefgehen und tat sie auch nicht. Auf Tracks von solide bis sehr gut präsentierte das Duo einen Techno, der sich bewusst vielseitig in seiner rhythmischen Ausgestaltung zeigte und mal mehr Vril, mal mehr Rødhåd durchscheinen ließ. Insgesamt spürte man in dem Album aber auch noch einiges an Potenzial, das sich dann in ihren Live-Auftritten deutlich besser entfalten sollte. In ihrem einstündigen Set für ARTE verdichtet sich ihre Musik deutlich und gewinnt an Intensität. Umso gespannter durfte man jetzt also sein, wie Out Of Place Artefacts zwei Jahre später und ausgedehnt auf drei Stunden klingen wird. Passend zu dem Auftritt wurde dann auch gleich die zweite LP unter dem schlichten Namen ‘II’ veröffentlicht.

Der Abend im Zenner beginnt recht früh um 19 Uhr. Drinnen spielt Sara Clark ein wunderbar kontrastreiches Warm-up-Set aus African Beats, Disco, New Wave und schlussendlich sphärischen Cello-Stücken. Draußen stehen derweil Leute in der gemütlich illuminierten Atmosphäre des Biergartens. Man wartet leicht angespannt auf den Main Act, trinkt noch ein Bier oder raucht eine. Für mich ist das ja nichts, also das Rauchen. Die Musik dagegen umso mehr und die, so viel zum fontaneschen Foreshadowing, sollte dann mit aller Gewalt über mich hereinbrechen.

Gleich zu Beginn setzt etwas Irritation ein, denn ermahnende Pst-Laute breiten sich im Zenner aus. Es dauert etwas, bis man realisiert, dass diese aus den Geräten von Rødhåd und Vril kommen. Was bei Grundschüler:innen eher mäßig Erfolg hat, zeigt im Publikum allerdings Wirkung, und aufgeregtes Geschnatter weicht einer gespannten Stille. Ein gewaltiger Bass Drone schiebt sich durch die Zischlaute in den Vordergrund und eröffnet eine groß angelegte Synthesizer-Exposition. Knapp 20 Minuten lang breiten sich Synthesizer-Flächen aus, ebben wieder ab, deuten hier und da erste Rhythmen an und vereinzelt werden melodische Blade-Runner-Töne angesteuert.

Erste Drums tauchen auf und wir befinden uns inmitten der Tracks 'Nimbus MM' und 'Astrolabium'. Das Lied-Paar zeigt eindrucksvoll die gesamte rhythmische Palette des Duos und von den Pads über die Lead-Synthies bis zum Rauschen im Hintergrund wird alles zu einem großen Groove verbunden. Kleine rhythmische Keimzellen durchziehen dabei gleich mehrere Tracks und fügen bestimmte Abschnitte des Albums zusammen. In diesem Fall rasen winzige 32tel in den Höhen durch den Mix, die mit ihrem knarzenden Klang gefährliche Erinnerungen an die Clicker aus The Last of Us hervorrufen.

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Doch die fast überwältigende Masse an rhythmischen Eindrücken und die bloße Soundgewalt wäre völlig leer, wenn das Duo sie nicht sinnvoll zusammenfügen würde. Der Verweis auf das Experimentelle wird hier nicht einfach als Blankoscheck gesehen, um schönes Sounddesign zu präsentieren oder sich in völlig formlose Musik zu stürzen. Vielmehr ist gerade auf 'II' eine deutliche Entwicklung in der Struktur zu hören. Die Tracks fußen auf starken Themen und jeder Sound ist nicht nur seiner selbst willen da, sondern treibt die Entwicklung weiter voran. Am deutlichsten hörbar in der Kraftwerk-Referenz 'Universarian', das mit seinem Pop-Appeal auch im Zenner direkt zu einem sichtbaren Hit avancierte. Die fast schmerzhaft melancholische Hauptmelodie erinnert an den Futurismus der Düsseldorfer Elektro-Pioniere.

Doch statt des technologischen Optimismus, der bei Kraftwerk mitschwingt, vertont Rodhads und Vrils traurige Moll-Version das zeitgemäße Scheitern zukunftsträchtiger Visionen. Gleich danach folgt dann das Highlight des Abends. Wo sich in 'Universarian' Struktur noch sehr deutlich zeigte, geht es jetzt subtiler zu. Nicht im Sound, denn eine Wand aus Noise wird aufgezogen, darunter ein donnernder Beat. Das Chaos bricht über den Zenner hinein. Inmitten dieses Sturms formt sich dann eine kleine rhythmische Figur heraus, die sich klar über das Klanggewimmel erhebt und tonal immer wieder verschoben wird. Ein melodischer Anker, der uns durch den Track leitet und die dann einsetzenden mächtigen Synthesizer vorbereitet.

Nachdem der Sturm abgeebbt ist, beginnt das Duo den zweiten Teil des Sets. 'Pangaea', der eigentliche Opener des Albums erklingt und das Publikum bekommt Raum zum Atmen. Ab jetzt dominiert der Groove die Musik. Drum-and-Bass-Anleihen werden wie bei 'Nibiriu' mit sphärischen Flächen angereichert und auch Hip-Hop der Marke Afrika Bambaataa bringt Bewegung auf die Tanzfläche. Während sich auf dem Album in der zweiten Hälfte ein paar Längen einschleichen, werden gerade diese Tracks live mit dem nötigen Quäntchen Druck verfeinert und nähern sich mehr dem Club- als dem Konzert-Kontext an.

Auch der Ambient-Einschub 'Black Goo', in dem fragmentartige und abgehackte Klänge die furchteinflößenden Bilder aus David Lynchs Geburtsstunde der Black Lodge in der legendären Folge Sieben hervorrufen, bietet im Zenner einen nötigen Moment zum Durchschnaufen. Während 'II' mit den organischen Streichern von Triskaideka endet, entlassen uns Rødhåd und Vril an diesem Abend mit den versöhnlichen Akkorden des wunderbaren Closers ihrer letzten LP.

In dem Jubel des Publikums lässt sich dann konstatieren: Rødhåd und Vril auf Platte? Das ist richtig gute Musik, die gerade in ihrem zweiten Anlauf noch einmal an Energie gewonnen und vor allem im Songwriting eine neue Stufe erklommen hat. Live fliegen Rødhåd und Vril dagegen in völlig anderen Sphären!

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