Essentials: 10 legendäre Techno-Hymnen der 90er
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Essentials: 10 legendäre Techno-Hymnen der 90er

Features. 19. September 2025 | 4,3 / 5,0

Geschrieben von:
Christoph Benkeser

Die echten Neunziger, erklärte mir kürzlich ein vierundvierzigjähriger Pferdeschwanz in der Kloschlange, die hätten nicht aus Fischerhüten, Tribal-Tats und Techno aus der Bluetoothbox bestanden. Die echten Neunziger, so durfte ich erfahren, seien vielmehr gefährlich gewesen. Genau, gemeint sei nämlich die Musik, na klar. Die müsse man sich zumindest legendär vorstellen. Gut, sagte ich. Und versuchte es, mit den Neunzigern. Und den Legenden. 

DJ Hell – My Definition of House Music (1992)

Okay, der Titel klingt nach Chicago. Aber was hier passiert, ist München – im Winter, nach drei Nächten ohne Tageslicht. Also mindestens, weil: Da predigt niemand. Hier ziehen nur kalte Maschinen stur ihr Ding durch wie ein Hausmeister mit Burnoutdiagnose. DJ Hell war damals noch kein internationaler Glamourgoth, sondern eher der Grantler unter den Ravern. Und dieser Track klingt auch so, irgendwie beleidigt. House? Vielleicht. Techno? Wahrscheinlich. Jedenfalls: Irgendwas zwischen Absturz und Attitüde. Man stellte sich das damals als Revolution vor, dabei war es nur ein Drumloop mit Rückgrat. Und ja: Das Ding lief überall. Im Ultraschall. Im KW. In Ibiza-Bars, die sich plötzlich ernst nahmen. Heute ist der Track wie ein alter Facebook-Status – ein bisschen peinlich, aber du würdest ihn nie löschen, weil, na ja.

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Emmanuel Top – Turkish Bazar (1994)

Ein Track wie ein Stresstest für Geduld und Kreislauf. "Turkish Bazar” klingt nämlich so, als hätte jemand eine einzige, leicht verstimmte Synthline genommen, sie auf vier Takte reduziert und dann gesagt: So, das läuft jetzt mal eben sieben Minuten, cool? Ja, cool. Sagten die Techno-Clubs und die Leute. Weil das genau diese Zeit war: stroboskopisches Schlackern, Endlosigkeit als Konzept. Dementsprechend muss man sagen: Emmanuel Top, der introvertierte Franzose mit Hang zum perfekten Loop, hat hier den – bitte, tut euch einen Gefallen und lest die Kommentare auf YouTube – Soundtrack für eine Generation gebaut. Eine, die ihr Glück in Wiederholung suchte, in den Drogen, wo auch immer. Deshalb frisst sich das also immer noch fest wie zerkauter Orbit an Plateau-Schuhsohlen. 

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Techno-Hymnen

Joey Beltram – Ballpark (1997)

Wenn "Energy Flash” die Techno-Hymne war, die alle kennen, dann ist "Ballpark” der fiese Cousin aus dem Keller, der nie spricht, aber immer da ist, wenn es zur Sache geht. Der Track tut ja nicht umsonst so, als hätte jemand Techno in eine Druckkammer gesperrt und auf Autoplay gestellt. Ohne Aufbau und ohne Drop, dafür mit Sattelschleppergroove, weil: Joey Beltram war nie der Typ für Melodien. Das war eher so: Betonplatten, verschweißt mit Funk. "Ballpark” lief dann auf Tresor-Partys, bei denen niemand mehr wusste, ob draußen gerade Montag oder Krieg ist. Und genau so fühlt sich das alles an. Schleichend, präzise, fast gelangweilt brutal. Heute hört man das und denkt sich: Krass, das war mal Popkultur. Damals dachte man: Wird Zeit für neue Schuhe.

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Cristian Vogel – Time (1995)

Jetzt also: Techno für Leute, die zwar ein Aphex-Twin-Shirt tragen, aber trotzdem tanzen wollen. Und hier: "Time”. Nicht die tolle Zeitschrift, sondern: der Track. Wobei, eigentlich ist das eher eine Fehlermeldung mit Rhythmusgefühl. Die Kickdrum klingt nach kaputtem Aufzug in einem Plattenbau irgendwo in Brighton, die Hi-Hats wie aus einer Teekanne geloopt. Und dazwischen gräbt sich ein Groove, der so wackelig ist, dass man sich fragt, ob und wie und … was ist denn das für eine schönes Licht, Alter! Ja, ja. Ideal für sechs Uhr früh, wenn das Klo besetzt ist und draußen plötzlich jemand "Kiosk” sagt. Dazu muss man wissen; "Time” war nie cool im klassischen Sinn – eher wie der eine Freak, der auf der Afterhour einen Laptop rausholt und dir sein Tagebuch von 1997 vorliest. Heute wird das Zeug in akademischen Kontexten analysiert. Damals: einfach Techno mit Hirnschaden.

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Surgeon – Magneze (1995)

Der Soundtrack zur Betonung von Beton. Oder Rückenmark-OP ohne Vollnarkose, weil: Surgeon! Der zerlegte schon damals diesen sogenannten Techno in seine Bestandteile, sterilisierte ihn und schob das Ding dann in dein Hirn, bis du dachtest, okay, vielleicht bleibe ich einfach ab jetzt für immer im Maschinenraum. Ja, das war Schöner Wohnen in den Neunzigern. Ohne Melodieblödsinn und Bruchblödsinn und sonst irgendein Blödsinnblödsinn. Da fängt einfach alles sofort an und hört nie wirklich auf – wie eine schlechte Entscheidung, die sich erst später als Stil herausstellt. Damals lief das im Tresor, im Orbit, im Berghain-Vorgänger deiner Wahl – immer dann, wenn die Luft schon nach Batterie und Poppers schmeckte. Heute muss man dafür Strafe zahlen.

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Sluts’n Strings & 909 – Sommerbreeze (1996)

Der Titel klingt nach Gartenabteilung im örtlichen Baumarkt. Aber was hier weht, ist kein laues Rentnerlüftchen, sondern ein Presslufthammer im Nebel. Erdem Tunakan und Patrick Pulsinger haben nämlich einen Track produziert, der nach Dub klingt, aber heimlich Jazz atmet. Motto: Kein Drop, kein Drama. Nur eine ewige Andeutung, dass gleich etwas passiert. Spoiler: Es passiert nichts. Und genau das ist das Großartige daran. "Sommerbreeze” ist eine Art technoider Federstrich. Funktioniert im Techno-Club, aber auch beim Rauchen auf dem Balkon um fünf, wenn man nicht weiß, ob man noch mal nachlegen soll. Heute kaum bekannt außerhalb gut sortierter Plattensammlungen – aber jeder, der das einmal auf einer Anlage gehört hat, weiß: Das war Wien. Und Wien war immer geil.

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Damon Wild & Tim Taylor – Bang the Acid (1994)

Ja, sorry. Das hier sollte Acid sein und ist doch nur die Anzeige im Pausenraum des Atomkraftwerks: Seit drei Tagen unfallfrei! Damon Wild und Tim Taylor haben dafür eine 303 als Brennstab konzipiert, oder umgekehrt. Wer weiß das schon so genau. Ist ja auch egal, in the end bleibt eh nur dieses latent einem auf die Eier gehende Pfeifen, das immerzu fragt: "Na, immer noch wach?” Der Rest ist ein Drumloop, der sich anfühlt wie eine Autoimmunerkrankung, das heißt: Es lief auf Raves, auf illegalen Techno-Parkhauspartys, auf dem dritten Floor, den es offiziell gar nicht gab. "Bang the Acid” ist ein Reminder aus der Zeit, als Techno noch wie echte Gefahr klang – nicht wie dein Spotify-Algo. Heute völlig unspielbar vor Mitternacht. Und selbst danach braucht es Mut. Aber wer das auflegt, meint es ernst. Und wer es kennt, war dabei.

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Lory D – Abrupt Interruption (1992)

Er stand nicht auf Pressefotos. Gab kaum Interviews. Und wenn er spielte, war es oft mehr Schall als Struktur. Lory D, meine verehrten Freundinnen und Freunde, war der Mythos, bevor Berlin sich das Wort auf den Bauch tätowiert hat. "Abrupt Interruption” ist einer seiner Tracks, bei denen du nach zwei Minuten denkst: "Okay, was passiert hier gleich?” Und nach sieben Minuten: "Ah, das war es schon?” Aber dazwischen, da hat sich alles verschoben. Roms eigenwilligster Export seit dem Espresso baut hier Spannung auf wie andere Leute Misstrauen. Die Kick ist da, aber weit weg. Die Sounds sind reduziert, aber irgendwie auch nicht. Und mit jeder Schleife rückt etwas näher, das du nicht sehen kannst. Warum? Weil das ein psychologisches Manöver ist, ich wiederhole: ein scheiß Psychotrick! 

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DJ Misjah & DJ Tim – Access (1995)

Endlich mal ein Techno-Klassiker, den selbst der DJ mit nur einer USB-Stick-Falte im Hirnlappen kennt. "Access” war der Moment, in dem Acid seine Schmuddelecke verließ und auf die große Bühne trat, um bei Onkel Eurodance anzuklopfen. Wie? Der Synth ist eine Kreissäge im Sonnenaufgang. Die Breaks sind größer als nötig und länger als erlaubt. Und wenn das Main-Riff kommt, reißen alle die Arme hoch, egal ob Hardcoreveteran oder Internatsschüler auf Malle. Damals, sagen die Leute, die es wissen müssen, war das der Inbegriff von Abriss. Inzwischen muss man das als Meme runterzocken. Na ja. Keine Scham. Kein Morgen. Tschau!

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