Review: Leon Vynehall - Rare, Forever [Ninja Tune]

Review: Leon Vynehall - Rare, Forever [Ninja Tune]

Features. 30. April 2021 | / 5,0

Geschrieben von:
Tim Tschentscher

Wenn man Leon Vynehall eins nicht vorwerfen kann, dann, dass der Brite in seiner Kunst nicht wandlungsfähig wäre. Bislang beherrschte er das Spielchen recht gut, Erwartungen nicht zu enttäuschen, sondern sie zu unterwandern. 'Rare, Forever' ist hier keine Ausnahme. Auf nur zehn knappen Stücken weicht er allen ungeschriebenen Gesetzen aus. Keine langen Suiten, keine Floorfiller, keine starren Narrative, keine überbordenden Kollaborationen. Stattdessen knüpft er sich einen Referenzteppich aus allem, was ihn als Person konstituiert. So ein bisschen wie eine sonische Bestandsaufnahme, aber ohne dieses Intimitäts-Tag.

Also dann, Hürde Debütnachfolger. Das ist natürlich erstmal Etikettenschwindel, denn nach freieren Maßstäben ist 'Rare, Forever' bereits Vynehalls viertes Projekt in Albumlänge. Mit 'Music For The Uninvited' und 'Rojus (Designed To Dance)' positionierte sich der gebürtige Londoner zwischen Garage und Deep House, nur um mit dem Umzug zu Ninja Tune die eigene Lesart komplett zu überwerfen. Sein eigentliches Debüt 'Nothing Is Still' war plötzlich ein fragmentarisches Moodboard gemischter Launen, weniger tanzbar und ziemlich dramatisch. Dass plötzlich mehr Budget da war, merkte man auch der erhöhten Verwendung von Streicher-Arrangements an. Apropos Umzug, mittlerweile lebt Vynehall in Los Angeles, ist 30 geworden und ins Grübeln geraten. Über das Existenzielle, die Lebensaufgabe und sich selbst.

Dem Fragmentarismus, der sich auf 'Nothing Is Still' schon andeutete und mit der DJ-Kicks unterstrichen wurde, hat das jedenfalls keinen Abbruch getan. Denn phasenweise hat der Fluss so seine Kanten bekommen. Das liegt vor allem daran, dass 'Rare, Forever' stilistisch zusammenführt, was Vynehall gerade in den Sinn kommt. Auf 'Ecce! Ego!’ klingen noch die letzten Streicher vom Vorgängeralbum aus, bevor daraus unter verzerrt kreischenden Synths ein düsterer Downbeat entsteht, den Recondite wohl auch so gebaut hätte. Über das durch Vocal-Layer versetzte Interlude 'In>Pin', geht es auf 'Mothra' plötzlich relativ unangekündigt um die Beziehung zwischen Deep House und Techno.

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'Alichea Vella Amor' wirkt merklich beeinflusst von den LA-Jazzern um Sam Gendel und hat durchaus improvisatorischen Charakter, während da ein Altsaxofon versucht seine Pentatoniken zu finden. 'Snakeskin ∞ Has-Been' ist wieder ein Stück weiter. Schiefe Synthesizer vermengen sich mit 90er-Acid-House-Anleihen und verschwinden zeitweise unter zerschroteten String-Spuren. Ein kurzes Piano-Aufspiel gleitet aus dem Track-Ende raus.

Die B-Seite ist nicht weniger von Zitaten durchzogen. In 'Worm (& Closer & Closer)' hat sich Goapeles Neo-Soul-Klassiker 'Closer' versteckt, wird aber abgeschnitten, ehe sich eine Kick formiert. Vynehall experimentiert auf dieser Platte zwar noch etwas zögerlich aber durchaus nach freien Maßstäben mit einem möglicherweise neuen Alter Ego. So stecke in den Stücken immer auch ein wenig 'Velvet' drin, eine bis hierhin noch eher schwammig gefasste Vorstellung einer neuen inneren Stimme. Mit 'An Exhale', einem langen Quasi-Intro für 'Dumbo', tobt sich Vynehall weiter an Synth-Modulierungen aus. Ohnehin scheint das eins der wenigen offensichtlichen Stilmittel auf dem Album zu sein, Synthesizern ihren Oldschool-Futurismus zu entlocken.

Erst mit 'Dumbo' kommt wieder etwas perkussiver Garage auf und erinnert an Vynehalls musikalische Anfänge. Mit dem letzten Track 'All I See Is You, Velvet Brown' wird es dann umso evidenter: Vynehall bereitet die Bühne für eine neue Persona vor. Man wird dann schauen müssen, wie diese Hindeutung auf ein mögliches neues Projekt klingen mag. Stand jetzt hat Vynehall die Stadien Vergangenheit, Selbstfindung und Selbstwahrnehmung aber bereits musikalisch abgearbeitet. Ein nächster Schritt wäre daher nur logisch. Orakeln wir daher kurz: Die nächste Platte wird sicher wieder komplett anders.

’Rare, Forever’ ist am 30.04.2021 auf Ninja Tune erschienen.

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