Test: Polyend Tracker / Standalone-Workstation

Test: Polyend Tracker / Standalone-Workstation

Tests. 21. November 2020 | / 5,0

Geschrieben von:
Kai Dombrowski

Mit Produkten wie der Perc Drumming Machine, dem Medusa Hybrid Synth oder zuletzt dem Seq Sequenzer versorgt die polnische Firma Polyend den Markt seit mittlerweile zehn Jahren mit charakterstarken Musikmachdingen. Polyend Tracker heißt der neueste Streich, eine Standalone Audio Workstation mit Sample-Funktion, Synths und FX. Wo der Unterschied zum Seq liegt und was genau eigentlich ein Tracker ist, gibt’s in diesem Test.

What the Track? Hintergründe und Namensbedeutung

Tracker gibt es seit mittlerweile 30 Jahren und sind praktisch sequenzer-basierte DAWs, welche jenseits des Mainstreams für ihre sonderbaren Eigenarten geschätzt werden. Zum Beispiel erfolgt die Darstellung der Zeitachse vertikal statt horizontal und das ganze Design versprüht nerdigstes Informatik-Flair. Einer Programmiersprache anmutend lassen sich Schritt für Schritt, von oben nach unten gleich mehrere Effektparameter eingeben – quasi wie Parameterlocks, nur differenzierter. Obwohl Tracker auf dem Papier viele Eigenschaften mit Mainstream-DAWs teilen, bestechen sie durch ihren ganz eigenen Workflow.

Der Polyend Tracker im Überblick

Acht Tracks kann der Tracker gleichzeitig wiedergeben, wobei jeder Track maximal 128 Steps fasst. Daraus ergibt sich dann ein Pattern, wovon sich wiederum 255 je Projekt speichern und etwa im Song Mode aneinanderreihen lassen. Maximal können pro Projekt 48 Samples zwischengeladen und gemäß der Achtstimmigkeit des Trackers auf die verschiedenen Steps verteilt werden. Neben gängigen Parametern wie Tonhöhe oder Note on/off erlaubt der Tracker für jeden Step die separate Programmierung des wiederzugebenden Samples und zwei FX-Parametern für die 16 Step FX.

Hinzu kommen diverse Bearbeitungsmöglichkeiten für Samples, Granular- und Wavetable-Synthese sowie Delay und Reverb als globale Send-Effekte. Als Interface dienen ein 7“-TFT-Display, ein angenehm großes Jog Wheel, herrlich klapperige Funktionstaster und die gleichen Grid Buttons wie beim Polyend Seq. Abgesehen von der internen Sequenzierung kann der Tracker auch MIDI-Signale verarbeiten, um mit externem Gear zu kommunizieren.

Polyend Tracker im Test.

Verarbeitung, Anschlüsse und technische Daten

Der Tracker misst 28 x 21 x 2 cm und wiegt ca. 2 kg, was zusammen mit der Stromversorgung über USB für reichlich Portabilität sorgt. Auch was die Verarbeitung angeht, lädt der Tracker zum Mitnehmen ein und sieht dabei auch noch absolut schick aus. Das 800 x 480 Pixel große Display verfügt über eine angenehme Helligkeit mit klarem Kontrast und ist nicht nur ein toller Eye Catcher, sondern auch zentrales Bedienelement. Man kommt auch ohne Touch-Funktion hervorragend zurecht, das Jog Wheel und die 33 Funktionstaster garantieren einen administrativen Workflow, ganz ohne Computer.

Das Jog Wheel ist geschwindigkeitsempfindlich und fühlt sich so hochwertig an, dass schon das Browsen durch die Sample-Listen regelrecht inspiriert. Die 48 hintergrundbeleuchteten Minitaster hingegen sind durch ihre 4 x 12 Rasterung und die geringe Größe absolut gewöhnungsbedürftig und wirken ungenau. Statt für Echtzeitspiel eignen sie sich deutlich besser für die  gezielte Eingabe von Parametern, dennoch erfordert das unkonventionelle Layout Übung bis zur Treffsicherheit. Rückseitig befinden sich ein Audio-Ausgang, Line In,  Mikrofoneingang sowie MIDI Ins und Outs im 3,5mm-Miniklinkenformat.

Die positive Überraschung an der Sache: Die passenden Adapter auf zwei Monoklinken in 6,35mm-Ausführung, MIDI nach DIN-Norm und ein USB-C-Kabel liegen dem Polyend Tracker bei. Die interne Software arbeitet mit mono Wave Samples in 44.1 kHz und maximal 32 Bit, soll aber durch ein zukünftiges Update auch Stereo-Dateien wiedergeben können.

Der Workflow

Die rechte Hand am Jog Wheel und die linke auf den Funktionstastern unterhalb des Displays, zeichnet sich der Workflow des Polyend Tracker vor allem durch Scrollen und Parametereingaben aus. Im Aufnahmemodus fährt die Anzeige des Trackers nicht mehr mit dem Playhead mit, was die freie Bewegung in der Pattern-Matrix und Manipulation der Wiedergabe in Echtzeit erlaubt. Die bunten Funktionstaster für die vier Hauptparameter einzelner Steps wechseln die vom Jog Wheel und den Minitastern gesteuerten Parameter und öffnen bei längerer Betätigung ein differenziertes Menü für den jeweiligen Eingabebereich.

Das bereits gelobte Design überzeugt auch in Sachen Funktionalität und macht die grobe Arbeitsweise des Trackers relativ transparent. Auch wenn der Tracker gerade genug an der Bedienung einer MPC oder Novation Launchpads anknüpft, sorgt der nischenhafte Charakter des Instruments für reichlich Einarbeitungszeit.

Was anfangs holprig und unintuitiv scheint, entpuppt sich aber bald als rasante, wenn auch eigenwillige Eingabemethode mit reichlich Potenzial und macht vor allem Spaß. Einer der besonderen Kniffe des Trackers ist, dass über den Step-Length-Parameter ein Schrittintervall eingestellt werden kann, sodass die Anzeige um die entsprechenden Schritte weiterspringt. So lassen sich ostinate Four to the Floor Kicks oder Off Beat Hihats im Handumdrehen eingeben und löschen. Alternativ können ausgewählte Steps – übrigens egal ob einzelne, mehrere oder sogar Track übergreifende – auch über die Fill-Funktion des Trackers eingegeben werden.

Hier stehen wieder verschiedene Schrittintervalle aber auch Random-Faktoren zur Auswahl, gemäß derer der Tracker die zuvor markierten Steps füllt. Weil für jeden Step vier Parameter eingefüllt werden können und sich die Fill-Funktion auch an bereits bestehenden Eingaben orientieren kann, multiplizieren sich die Möglichkeiten mit fortlaufenden Aktionen. Das sorgt für spannend exponentielle Klangverläufe, avantgardistische Rhythmen und unerhörte Melodien.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Youtube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

LFO, Step FX und Co.

Am Anfang jedes Steps steht die Frage nach dem abzuspielenden Sample. Abgesehen von Delay und Reverb als globale Send-Effekte kann jedes einzelne Sample separat bearbeitet und entfremdet werden. Los geht’s mit chromatischer Transponierung, grundlegenden Beschneidungstechniken und Playbacksettings über Filter, Distortion und Bitcrushing bis hin zu Wavetable- und Granularsynthese. LFOs und Envelope Generatoren können dann auf Parameter innerhalb der Sample-Einstellungen Einfluss nehmen.

Ganz ähnlich funktionieren die bereits erwähnten Step FX: Neben Velocity, Glide, Panning, Micro-tune, Micro-move, Chance und Roll können Sample-Start für Synthese-Samples oder LFO-Parameter von Step zu Step kalibriert werden. Zusammen mit zahlreichen Zufallseffekten entstehen so lebendige und abwechslungsreiche Patterns, die immer wieder raffiniert die Erwartung durchbrechen. Ebenfalls pro Schritt justierbar sind die Sends für den Delay und Hall des Trackers. Die genauen Einstellungen der Effekte lassen sich zwar im Master-Menü bearbeiten, doch der Delay verfügt über lediglich Feedback und Time und ein paar Stereo-Optionen.

Beim Reverb siehts besser aus, hier gibt’s Room Size, Damping, Pre-Delay und Diffusion. Im Song Mode lassen sich verschiedene Patterns innerhalb eines Projekts sortieren, ineinanderspielen und währenddessen normal bearbeiten. Wer sich auf keine feste Reihenfolge der Patterns einigen kann, kann im Performance Mode jammen bis sich etwas ergibt. Besondere Schmankerl sind die Punch FX, welche über die Minitaster drei verschiedene Parameter pro Effekt abrufen können.

Fazit

Der Polyend Tracker ist etwas ganz Besonderes. Durch die schicke Verpackung, die mitgelieferten Adaptern und dem edlen aber robusten Design entsteht ein durchweg zuverlässiger Eindruck und ein schönes Kauf- bzw. Musikerlebnis. Die besondere Perspektive auf das Sequencing ist absolut inspirierend und bietet ungeahnte Möglichkeiten. Trotz des administrativen Charakters der Bedienung ist zuverlässige Echtzeiteingabe beinahe schneller umzusetzen als mit anderen Sequenzern, besonders wenn die Minitaster einbezogen werden. Kann man sich einigermaßen im Meer der weiß leuchtenden Knöpfchen orientieren, passieren Parametereinstellungen innerhalb von Sekunden, vorausgesetzt die Auge-Hand-Koordination stimmt. Die Effekte und Klangfärbungsmöglichkeiten des Trackers sind herrlich eigen und entziehen sich in vielerlei Hinsicht dem Vergleich zur Konkurrenz.

Pro

Leistungsstark
Vollwertige Musikproduktionszentrale
Hohe Konnektivität und Portabilität
Hochwertige Verarbeitung

Kontra

Holpriger Workflow
Kaum Einstellungsmöglichkeiten für den Delay

Preis:

599,00 EUR

Weitere Informationen gibt es auf der Website von Polyend.

Veröffentlicht in Tests und getaggt mit DAW , Polyend , sequencer , Standalone , Test , Tracker

Deine
Meinung:
Test: Polyend Tracker / Standalone-Workstation

Wie findest Du den Artikel?

ø: