Das Clubsterben hat wirklich begonnen – Was jetzt?
© Instagram/steinzeit.alter

Das Clubsterben hat wirklich begonnen – Was jetzt?

Features. 11. November 2025 | 4,2 / 5,0

Geschrieben von:
Kristoffer Cornils

Die Hilferufe und Hiobsbotschaften mehren sich: Immer mehr Clubs schlagen Alarm oder knipsen das Putzlicht an. Die Politik bleibt untätig, die Perspektiven sind düster. Kristoffer Cornils meint, dass die Besserverdienenden der Szene in die Verantwortung genommen werden sollten.

Vitalic veröffentlichte den Track "Poney Pt. 1" im Jahr 2001. Viel ist passiert, bevor damit in den Mittagsstunden des 2. Januar 2025 ein Kapitel Berliner Clubgeschichte geschlossen wurde, als Uli Wombacher mit dem Electro-Banger das finale Set in dem von ihm mitbegründeten Watergate abschloss. Nach 22 Jahren wurde an der Oberbaumbrücke für immer das Putzlicht angeknipst. Wenige Tage darauf errichtete das Kollektiv Steinzeit.Alter einen Grabstein vor der Falckensteinstraße 49. Die Symbolik war klar, weil sie auf einen seit Jahresanfang mit immer größerer Dringlichkeit fallenden Begriff anspielte.

Vom "Clubsterben" wurde in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder gesprochen. Oft wurden Einzelfälle zur strukturellen Krise hochstilisiert. Heute aber sagt Christian Ordon vom Branchenverband LiveKomm: "Wir sind lange vorsichtig mit dem Begriff umgegangen, mittlerweile aber können wir ein Clubsterben bestätigen." Er spricht dabei wohlgemerkt auch von Live-Spielstätten und nicht allein Techno-Clubs. Doch die Problemlage ist überall dieselbe: Nach dem pandemiebedingten zweijährigen Stillstand stellte sich nach der euphorischen Wiedereröffnung im Frühjahr 2022 schnell Ernüchterung ein.

Energiekrise, Inflation, großstädtische Verdrängungsmechanismen, behördliche Scherereien, politische Zerwürfnisse, Beschwerden aus der Nachbarschaft, ein verändertes Publikums- und Konsumverhalten: Unterschiedliche Faktoren befeuerten eine Polykrise, der mit betrieblichen und inhaltlichen Anpassungen allein nicht begegnet werden kann. Vor allem wirtschaftlich geht es vielen Clubs schlecht. Denn während von der Miete bis zur Handseife die Kosten explodieren, implodieren die Einnahmen an Tür und Bar. Ein Teufelskreis: Gesunkene Einnahmen treffen auf steigende Ausgaben.

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Viele Todesfälle …

Bald werden noch mehr Grabsteine aufgestellt. Nachdem das SchwuZ im Sommer Insolvenz anmeldete, öffnete die Institution des queeren Berliner Nachtlebens Anfang November zum letzten Mal. Auch die Renate wird bald schließen und der Ambient-Treffpunkt kwia könnte bald seinen Posten räumen. Das sind gemessen an der Größe und Vielfalt der Berliner Szene für elektronische Musik nur wenige Adressen, aber selbst etablierte Anlaufpunkte wie das ://about:blank kommunizieren ebenso direkt wie drastisch, dass die finanzielle Situation existenziell bedrohlich ist. Und außerhalb Berlins sieht es bisweilen noch sehr viel ärger aus.

Kurz nach dem Watergate schlossen die Weltspiele in Hannover ihre Pforten. Das Hotel Shanghai in Essen, das Projekt X in Bochum, der Wuppertaler U-Club, der Cube in Düsseldorf, die Station Endlos in Halle, das ROSA in Greifswald, die Zukunft in Chemnitz, das Hole in Rosenheim, zuletzt das White Noise in Stuttgart kündigten im Laufe des Jahres die Schließung an. Andere fuhren den Betrieb runter oder – wie das Studio 56 in Koblenz – pausieren gar. Auch wenn nicht alle diese Schließungen auf wirtschaftliche Gründe zurückzuführen sind: Es gibt viele dieser Hiobsbotschaften. Aber auch Hoffnungsschimmer. 

… und ein paar Geburten

Wo die Hannoveraner Weltspiele schlossen, da richtet sich bald das Team hinter dem ebenfalls in diesem Jahr geschlossenen Club PAN unter neuem Namen ein. Auch das Leipziger Duqo ist Geschichte, im vormals als mjut bekanntem Club wird nun unter dem Namen L.OST weitergemacht, während die Räumlichkeiten des Instituts fuer Zukunft vom Axxon N. gefüllt werden. Selbst die Distillery meldet sich zurück. Ebenso wurde in Berlin Bäumchen-wechsel-dich gespielt: Die Anomalie heißt jetzt DSTRKT, das arkaoda machte den Keller wieder auf und sogar der Knaack soll reanimiert werden

Es ist auch nicht so, als würden nicht neue Clubs nachkommen. In Form des RSO.Berlin, ÆDEN, Giri, Blue Velvet und MAAYA hat Berlin in den vergangenen vier Jahren Zuwachs erhalten. Mit dem Ampere und dem Graf39 öffneten gleich zwei neue Clubs in Düsseldorf, der Verlust des Schumacher Clubs in Bochum wurde die Öffnung des Kurt Klubs am selben Ort wettgemacht, Köln gewann eine Kulturschutzzone in Ehrenfeld und mit Garagen einen neuen Club ebendort hinzu, die weiterhin sehr vitale Münsteraner Szene erlebte das Comeback des Docklands und die ersten Partys im FADE. In Hamburg, Berlin und anderswo sprossen während der Open-Air-Saison ebenso neue Orte aus dem Boden.

der PAN Club in Hannover
© PAN Club Hannover

Crowdfunding und Community Nights 

Doch sterben mehr Clubs, als neue geboren werden. Vereinzelte freudige Nachrichten sollten auch nicht über die grundlegende Krise hinwegtäuschen. In diesem Jahr wandten sich mit dem Geheimclub in Magdeburg, dem UKW in Rostock, dem objekt klein a in Dresden, dem Südpol in Hamburg und dem Legal in München mehrere Institutionen mit kritischen Lageberichten oder konkreten Unterstützungsaufrufen an die Öffentlichkeit. Im Einzelfall konnten erfolgreiche Crowdfunding-Aktionen die gröbsten Löcher stopfen, die systemischen Ursachen der vielgestaltigen Probleme jedoch bleiben bestehen. Es ist zu befürchten, dass bis Ende des Jahres einer oder mehrere dieser Clubs sowie andere anderswo ihr Aus verkünden. 

Im Jahr 2025 ist guter Rat teurer als zugstarke Headliner:innen. Das zuerst in Berlin ausprobierte und dann öffentlichkeitswirksam vom Tresor.West in Dortmund etablierte Prinzip der "Community Nights" mit freiem Eintritt und lokalen Line-ups wurde mittlerweile auch im Saarland wie auch in der Münchner Roten Sonne adaptiert, der Ausgang solcher Experimente läuft aber potenziell eher auf Schwarze Nullen als auf grüne Zahlen hinaus. Andere Nebenbeiverdienste – die Öffnung für Firmenveranstaltungen, eine Verbreiterung des Angebots um weitere kulturelle Veranstaltungen und so fort – erschließen sich nur vereinzelt und fordern bisweilen Investitionen, und sei es nur in Form von Mehraufwand. 

Politische Zurückhaltung statt Rückhalt

Auch von der Politik ist nur vereinzelt Rückhalt zu erwarten. In Berlin, Hamburg oder Köln werden immer wieder Rahmenbedingungen geschaffen und Finanzspritzen vergeben, um den wirtschaftlich einträglichen Standortfaktor Clubkultur zu halten. Anderswo jedoch denkt überhaupt kaum jemand daran, öffentliche Gelder für Funktion-Ones und queere Bookings bereitzustellen: Das politische Klima hat sich in weiten Teilen dieses Landes stark verändert, und das nicht zum Besseren. Das gilt auch auf Bundesebene. Die knappen Versprechen aus dem Koalitionsvertrag: längst vergessen.

Freilich stehen im Bundestag dringendere Themen auf der Agenda, doch selbst der zuständige Minister schickt lieber seinen KI-Avatar vor, als sich selbst um seinen Job zu kümmern. Er kann ja das Argument eines Anwärters auf seinen Job wiederkäuen: Dem Berghain geht es gut, was habt ihr denn? Sind die Schlangen vorm Tresor nicht so lang, dass sie sich mit denen vor dem KitKat kreuzen? Selbst in Wuppertal müssen sie zum Abheben nicht mehr in die Schwebebahn, es reicht die Treppe abwärts ins Open Ground! So ist das Leben, und das funktioniert wie jeder andere Markt auch. Diese Milchbubirechnung erlaubt es der Politik, sich in Zurückhaltung zu üben, statt Rückhalt zu gewähren.

Leerer Club
© ALZAR

Harte Machtstrukturen und verkrustete Strukturen

Und sicherlich werden sich schon einige Clubs oder ganze Metropolen weitgehend unbeschadet durch die Polykrise retten, wenn sie denn je zu Ende geht. Damit würden sich aber umso mehr bestehende Machtstrukturen verhärten, würde die Kultur im Gesamten noch weiter verkrusten. Denn die derzeitige "Marktbereinigung" – noch so ein oft verwendeter Begriff, dessen Tragweite sich erst jetzt enthüllt – sorgt nur für weitere Konzentration. Auf Großstädte wie Berlin, die die historischen Narrative sowieso schon dominieren, als hätte es Stammheim, milk!, Muna oder Distillery nie gegeben, oder auf wenige große Rave-Tempel, die DJs buchen, die in der Nachbarschaft von Kellerclubs großgezogen wurden.

Nehmen wir ein weitgehend beliebiges, aber schlagkräftiges Beispiel: Bevor die Herrensauna mit Hyperspeed-Trance den Tresor als Club aufwertete und die TikTok-Generation zum Nakt-Webstore entsandte, fanden die ersten Ausgaben in einem veritablen Drecksloch namens Bertrams statt, einem Club-unter-einem-Club, der schon längst Geschichte ist. Ohne diese Starthilfe hätten Residents wohl kaum bei Majors Plattenverträge unterschreiben können und würde diese Brand nicht ständig dorthin jetsetten, wo mit den meisten Scheinen gewedelt wird. Hinterlassen wird verbrannte Erde. Damit muss Schluss sein.

Peace, Love, … Äh, und was kam nochmal danach?

Insbesondere die derzeit am meisten bedrohten kleinen Clubs sind Kaderschmieden für die musikalischen Taktgeber:innen von morgen. Doch der Fokus des Publikums hat sich auf frei flottierende Kollektive verschoben, die sich von ihren Wurzeln weitgehend abgewandt haben. Wer nun über die politischen Nachlässigkeiten reden möchte, darf von der politischen Untätigkeit der Szene – zumindest jenseits moralinsaurer Instagram-Storys – nicht schweigen. Wo ist er aktuell, in Zeiten der Polykrise, der vielbeschworene Zusammenhalt? Wenn schon Peace und Love, selten nur Respect zu haben ist … Was ist dann mit Unity?

Die Clubs haben sich zuletzt immer weiter organisiert. Das Prinzip der Clubcommission Berlin machte überregional und sogar international Schule, auch Verbünde wie die LISA und bundesweit die LiveKomm wurden in der jüngeren Vergangenheit entweder neu gegründet oder erhielten Zuwachs. So begrüßenswert das allein ist, so sehr die Clubs sich damit nunmehr gemeinsam engagieren – sie erhalten innerhalb der Szene jenseits ihres jeweiligen Publikums bisher zu wenig Unterstützung in ihren Bemühungen um mehr Vernetzung und Wirkmacht auf politischer, rechtlicher und sozialer Ebene. 

Vienna Club Commission fordert einen Solidaritätsbeitrag
© Sam Mar / Unsplash

Wenn die Säulen wegbrechen

Warum bleiben eigentlich all die international aktiven Kollektive und erfolgreichen DJs so seltsam unbeteiligt angesichts der Polykrise, die die Grundfeste der Clubkultur fest in ihrer Hand hat und die die Säulen dieser Szene langsam erodieren lässt? Vertrauen sie alle darauf, dass irgendwelche Schnapsmarken genug Risikokapital in die Hand nehmen werden, um damit Clubs aus dem Dreck zu ziehen, deren Jahreseinkommen kaum zur Begleichung eines vierstündigen Sets von ihnen ausreicht? Wollen all diese Leute nicht zumindest ein bisschen etwas zurückzahlen, jetzt, da es wirklich wichtig wäre? 

Zumindest scheint es widersinnig bis komplett zynisch, dass elektronische Musik und vor allem die Geschäfte im Event-Segment mehr Wert generieren als je zuvor und doch davon wenig bis gar nichts zurück von oben nach unten sickert. Das dürfte langfristig der gesamten Szene auf die Füße fallen. Ob in der Provinz oder der großstädtischen Nachbarschaft: Wenn die kleinsten und damit besonders gefährdeten Clubs sukzessive einknicken, wird das bald das Kartenhaus zum Kollabieren bringen. Es braucht dringend Lösungsansätze, lebensrettende Maßnahmen – das heißt, konkrete Unterstützung.

DJs in die Verantwortung nehmen

Die Bundesstiftung Livekultur und die LiveKomm stellten zuletzt mit dem Live Music Fund Germany ein Konzept vor, das in Zeiten politischer Untätigkeit für eigenverantwortliche Umverteilung sorgen soll: Veranstaltungskonzerne, Ticketingplattformen und sogar Streamingdienste sollen freiwillige Abgaben leisten, um den "Circle of Live" in den Festival- und Konzertbranchen am Laufen zu halten, indem damit kleinere Akteur:innen unterstützt werden. Ein Förderfonds auf Graswurzelebene: Das Prinzip ist ambitioniert, und wir wissen zur Genüge, dass es mit der praktischen beziehungsweise finanziellen Solidarität – Stichwort Aslice – nicht immer weit her ist. 

Doch sollte darauf aufgebaut werden, sollten mehr als nur die Clubs als solche und das ebenfalls wirtschaftlich gebeutelte Publikum in die Verantwortung genommen werden. Bevor das Clubsterben Fahrt aufnahm, haben tausende DJs und Kollektive von der Arbeit dieser Institutionen profitiert, in denen sie ihre Karrieren aufbauen konnten. Ist es nicht an der Zeit, dass sie in diesem kritischen Moment etwas zurückgeben? Es wäre ja in ihrem Sinne: Je weniger Clubs es gibt, desto schlechter für sie – auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Clubkultur heißt nicht ohne Grund so: Sie ist auf ihre Orte angewiesen. Diese zu schützen, sollte das zentrale Anliegen aller ihrer Angehörigen sein.

Veröffentlicht in Features und getaggt mit ÆDEN , Berghain , Berlin , Clubcommission , Clubkultur , Clubsterben , Open Ground , Rote Sonne , RSO , Watergate

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