10 Techno-Tracks der 90er, die man kennen muss

10 Techno-Tracks der 90er, die man kennen muss

Features. 28. November 2025 | 4,3 / 5,0

Geschrieben von:
Christoph Benkeser

Es waren einmal die Neunziger. Also die echten. Nicht das, was H&M heute als "Y2K" verkauft, sondern das Jahrzehnt zwischen Weltuntergangspanik, Röhrenmonitoren und Zigarettenautomaten an jeder Ecke. Techno war noch kein Escape Room für Kreativdirektor:innen. Die Clubs? Illegal oder kurz davor. Und die Tracks – meistens weißes Label, schwarzes Loch. Attacke!

Diese zehn Tracks sind keine Spotify-Algorithmus-Hits. Sie riechen nach Aschenbecher, schmecken nach Speed (also eigentlich nach Bahnhofsklo um vier Uhr früh), und sie erinnern an eine Zeit, in der man sich, jahaha – über Musik definierte, nicht über die Farbe seiner Noise-Cancelling-Kopfhörer. Also, jetzt: ein bisschen Nostalgie-Gewinsel. Und diese Neunziger.

Drax – Amphetamine (1994)

Soll nochmal einer sagen, Titel von Technotracks seien nichtssagender Blödsinn. Der hier sagt alles. Wirklich alles, also: "Amphetamine" ist dieses ganz geile Gefühl, aber als Musik. Thomas P. Heckmann haut nämlich dermaßen auf die 909, dass du dir das ADHS nach ein paar Minuten einfach selbst diagnostizieren kannst. Kein Break, keine Luft, keine Gnade – das Ding sprintet los wie ein Steuerberater nach drei fetten Lines. Die Bassline: ein Betonpfeiler. Die Hi-Hats: Schmirgelpapier auf Alufolie. Und drüber dieses gehetzte Geflimmer, als würde so ein Einwahlrouter versuchen, mit dir zu kommunizieren. In den 90ern war das hier Peak-Performance mit Zähneknirschen. Heute eher Soundtrack für Leute, die bei Lieferando eine Vier-Sterne-Bewertung schreiben.

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PPK – Resurrection (1998)

Man soll sich das vorstellen wie einen Rave auf der ISS – mit schlechter Internetverbindung und dem Verdacht, dass niemand die Rückfahrt organisiert hat. Zwei Russen, ein Synthesizer, ein Stück Space-Ambient aus den 70ern geklaut (Eduard Artemyev, Grüße an Solaris) und dann: Kabumm! Der Track klingt, als hätte jemand versucht, Jean-Michel Jarre mit Eurodance zu verkuppeln – auf einem McFit-Stepper, kurz vor dem Herzinfarkt. Na ja, jedenfalls: 1998, ausgerechnet Russland kommt mit Trance um die Ecke, während der Westen noch Korn und Nu Metal verhandelt. "Resurrection" ist da ein Raketenstart mit Kinderkeyboard, emotional ein Bewerbungsgespräch bei Jesus – und trotzdem bleibt man hängen wie im IKEA-Kundendienst. Schön erhaben. Oder verarscht. Wahrscheinlich beides.

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Biosphere – Novelty Waves (1995)

Wir landen hier irgendwo zwischen einem Kühlschrank, der denkt, er sei DJ, und einem norwegischen Meteorologen mit einem Dub-Fetisch. Biosphere baut Mitte der 90er jedenfalls Techno wie Billyregale: möglichst ohne Schnickschnack, weil skandinavische Sachlichkeit. Es klackt und pumpt und friert, so endlos wie die vierte Staffel einer mittelmäßigen Netflix-Serie, nur besser produziert. Levi’s hat das Ding später für eine Werbung genommen, als Werbung noch so tat, als wäre sie subversiv. Der Track ist halt die vertonte Vorstellung von Coolness auf Antidepressiva. Keine Auflösung, keine Steigerung. Nur ein stures, kaltes Nicken: "Ja, das ist Musik."

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The Hypnotist – The House Is Mine (1991)

Willkommen in der Anstalt. Hier wird die Sampleschleife nicht gespielt, sondern exorziert – auf endlos wie ein Nachbar mit Tourette, der über einen Hoover-Synth gestolpert ist. Colin Faver und Caspar Pound machen 1991 einen Track, der so tut, als hätte man Chicago in den East Londoner Breakbeat-Mixer geschmissen und anschließend das Ergebnis durch ein Megafon gefiltert. Die Bassdrum schiebt wie ein kaputter Staubsauger im Boostmodus, oben kreischen Sirenen aus einem Michael-Bay-Film, den keiner versichert. Und zwischendrin diese maximale Ansage: "This House Is Mine". Klar. Als hätte man überhaupt gefragt.

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Mundo Muzique – Acid Pandemonium (1992)

Und zu ihrer Linken sehen Sie das musikalische Äquivalent zu einem Kabelbrand hinter dem Mischpult. Patrick Codenys (aka Mundo Muzique) war eigentlich mal bei Front 242 (die mit den sehr coolen Sonnenbrillen), aber hier klinkt er sich aus dem Industrial-Bunker aus und schickt eine vollkommen enthemmte 303 auf Solo-Mission. Das Ergebnis: Ein, sorry: Acid-Jahrhundertgewitter. Nichts daran ist schön. Oder rund. Oder freundlich. Dieser Track will also nichts von dir – außer, dass du dein Innenohr neu kalibrierst. Und dann doch, immer wieder, diese 90er-Magie, oder: Clubkids mit Bauchnabelpiercings, die das für die Zukunft hielten. Heute erinnert das Ganze eher an einen Anruf bei der Krankenkasse – man kommt nicht raus, die Stimme am anderen Ende klingt metallisch, und irgendwann verliert man sich einfach in der Schleife. Nur dass hier niemand fragt, ob man seine Versicherungsnummer zur Hand hat.

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Spiral Tribe – Forward the Revolution (1993)

Der Tracktitel klingt nach Flugblatt, das man dir auf der Fusion in die Hand drückt, kurz bevor dich jemand mit Dreadlocks und Pfeife um Duschgel bittet. "Forward the Revolution" ist weniger Musik, mehr Militanz – straight aus dem besetzten Wohnwagenparkplatz. Die Kickdrum hämmert wie ein kaputter Stromgenerator, dazu Dub-Delay in der Badewanne, mehrere Polizeikontrollen, und dann dieser Aufruf zur Revolte. Revolution wog damals nämlich 143 BPM und trug selbstgebastelte Hosen. Und ja, Spiral Tribe meinten das ernst. So zwischen DIY-Idealismus und lauwarmem Dosenbier. Heute würde man sagen: "Klingt rough, hat Charakter." Früher war das eine Weltanschauung. Und eine Einladung, montagmorgens barfuß im Matsch zu liegen und sich sehr, sehr frei zu fühlen.

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DJ Misjah & DJ Tim – Access (1995)

Ist wie Brösel vom Handydisplay ziehen. Sobald der Synth einsetzt, schlägt dich die Musik mit der Energie eines Zahnarztbohrers. Kein Intro, kein Kontext – einfach direkt rein ins Nervenzentrum. Und ja: Die 90er waren voller Tracks, die dir ins Gesicht gesprungen sind. Aber dieser hier springt dir ins Gesicht, steckt dir eine Kreditkarte in die Fresse und bon voyage. Die Leadsynth-Linie klingt ja nicht umsonst wie ein Laserdrucker mit Burnout, dazu eine Bassdrum mit dem Taktgefühl eines Presslufthammers. Damals war das ein Festival-Hit, heute ist es retrofuturistischer Nervenzusammenbruch mit Stil, weil: Das ist nicht subtil. Das ist das akustische Äquivalent zu einem Gespräch mit jemandem, der "Digital Detox" ruft und dabei seine Smartwatch auflädt.

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Lory D – Lochnar (1993)

Es gibt Tracks, die einen Raum betreten wie ein Anwalt mit Sonnenbrille – "Lochnar" ist so einer. Keine Begrüßung, keine Erklärung, einfach da und latent bedrohlich. Und: Lory D war immer der Typ, den alle fürchten und heimlich feiern. Der Mann, der Techno macht, wie andere Leute Alibis schreiben: kalt und ohne Spuren. Lochnar hat deshalb was von einem Atomreaktor nach der Notstopptaste. Immer leicht radioaktiv. Die Kick ist Faustschlag-durch-drei-Steppjacken-dumpf, der Rest: seltsam glitschiger Acid. Und dazwischen diese melancholische Schieflage, als wäre der Track permanent kurz davor, aufzugeben. Stattdessen schiebt er weiter wie ein Einkaufswagen mit kaputtem Rad. Das heißt, "Lochnar" ist der Moment im Club, wenn alle tanzen und es still ist. Kein Banger, kein Hit. Aber ein sogenanntes Statement: Dass Techno nicht gefallen muss. Nur funktionieren. Bätsch!

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Panasonic – Murto (1996)

Panasonic (die Klugscheißer fügen hier gerne dreiundvierzig Fußzeilen an, denn: nicht die tollen Fernseher sind gemeint, sondern die Finnen) haben mit "Murto" den Soundtrack zum inneren Schweigen gebaut. Das hier ist nämlich nicht, wie man erwarten würde: Techno. Das ist eigentlich Maschinenethik. Eine Kickdrum, kein Aufbau. Eigentlich nur Frequenzen, die sich benehmen wie Designersofas in WG-Wohnzimmern. Oder, sagen wir so: Wenn du je wissen wolltest, wie es sich anfühlt, von einem Kühlschrank beobachtet zu werden, hör dir "Murto" an. Tanzbar ist das wiederum nur, sofern du eine Waschmaschine bist. Emotional? Auf dem Level von Excel-Tabellen. Und doch liegt darin eine Schönheit, steril wie ein Krankenhausflur ohne Patienten, aber mit sehr gutem Soundsystem. Panasonic machen ja nicht ohne Grund Musik für Leute, die lieber Frequenzkurven analysieren als Gefühle. 

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Hardfloor – Acperience 1 (1992)

Neun Minuten, neun Leben. "Acperience 1" ist die Wagner-Oper unter den Acid-Tracks. Ein episches Ding, das so klingt, als hätte jemand einen epileptischen Anfall mit der Rolandkiste vertont. Wobei, jemand ist gut. Hardfloor – das deutsche Duo, das klang, als hätte es einen Separatfrieden mit der Schwerkraft geschlossen – liefern hier nicht einfach Acid, sie liefern Acid mit Architekturabschluss. Die Filtersweeps wirken wie digitale Tunnelsysteme, die Bassline ist ein Wurmloch, und das Arrangement ein Eskalationsdiagramm, das selber Drogen nimmt. Wer das nüchtern hört, ist zumindest verdächtig. Und doch hat dieser Track so circa alles, was einen alten BMW ausmacht: Er ist laut, unvernünftig, aber man will trotzdem mitfahren. Vielleicht, weil er an was erinnert. Oder alles vergessen lässt. 

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Techno Tracks der 90er, die man kennen sollte

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