Es beginnt immer gleich: mit einer Nachricht auf Telegram. Jemand schickt Koordinaten, jemand anderes einen DJ-Namen, den man googelt und trotzdem nicht findet. Und: "Sound geht um 1 los, no traces, no cops.”
Draußen dann: ein Acker. Vielleicht ein Kieswerk. Oder einfach eine schöne Autobahnbrücke. Drinnen: nichts. Weil es kein Drinnen gibt. Nur einen Generator, der wie ein verkrampfter Dickdarm röhrt. Ein Soundsystem auf zwei Europaletten. Und Menschen, die aussehen, als wären sie das Moodboard von "Dazed & Confused”. Barfuß, Glitzer im Gesicht, Jutebeutel voller MDMA und Ideale.
Ja, illegale Raves sind wie schlechte Serien mit guten Intros: Sie versprechen alles und halten fast nichts. Aber das ist egal. Es ging ja nie um Komfort. Eher um Kontrast. Um Dagegensein mit Delay. Und die Fantasie, dass man mit einem Breakbeat und ein bisschen Diesel den Kapitalismus stürzen kann.
Was natürlich nicht geht. Aber es fühlt sich manchmal so an. Wenn jemand im Halbkreis tanzt, der gestern noch auf einer Demo gegen Mietwucher war und morgen wieder einen Businessplan für seine Solarpunk-Agentur schreibt.
Damals dämlich
Damals, sagen sie, war das noch echter. Als in Manchester alte Industriehallen zur Ekstase dampften. Als sich in Brandenburg tausend Menschen zwischen stillgelegten Schornsteinen verloren. Als das Wort "illegal” noch nicht nach Versicherungsrisiko klang, sondern nach Relevanz.
Manche erinnern sich, als wären sie 1992 morgens um fünf in einem Warehouse geboren worden. Andere tun so, als hätte ein All-Nighter von DJ Pierre die Mauer eingerissen. Dabei ist die Geschichte der illegalen Raves nicht romantisch. Sie ist schmutzig und unordentlich. Manchmal sogar gefährlich und meistens viel zu laut. Aber sie war immer eines: notwendig.
Notwendig, weil jeder legale Club irgendwann zum Möbelhaus wird. Jede Veranstaltungsreihe, die zu oft stattfindet, irgendwann aussieht wie eine Zalando-Werbung. Und Ordnung nie getanzt hat, nur kontrolliert hat. Inzwischen ist das Illegale nämlich ironisch. Der Rave ist kein Widerstand mehr, sondern ein Lifestyle-Angebot mit PayPal-Link. Es gibt Bots mit Line-ups, Drogen-Kits aus dem Darknet. Wahrscheinlich schneidet sogar jemand Aftermovies im 16:9-Format mit Drohnenshots vom Sonnenaufgang.
Man tanzt sich die Krise schließlich schön. Gentrifizierung, Global Warming. Dazwischen Absinth und Antikapitalismus. Schon dient der Dancefloor als Performance der letzten Utopie. Passt natürlich wunderbar ins Theater. Oder ist Theater. Weil vieles davon mehr mit Selbstinszenierung als mit Systemkritik zu tun hat. Und doch bleibt dieser Moment, dieser unklare, verschwitzte, zwischen zwei Tracks verwaschene Moment, in dem alle wissen: Das hier passiert gerade nur, weil es nicht erlaubt ist. Weil es keinen Antrag gibt. Keine Genehmigung. Nichts.

Illegalität als Blaupause
Es begann in England, wo sonst. Thatcher im Parlament, Acid im Blut, ein Roland TB-303 in jeder zweiten Lagerhalle. Die Polizei kam mit Helikoptern, die Raver mit Trillerpfeifen. 1989 tanzten 20.000 Menschen auf einem Acker bei Oxfordshire zu Musik, die so repetitiv war, dass der Staat sie später offiziell verbot. Im Criminal Justice Act wurde Musik mit "wiederholten rhythmischen Elementen” kriminalisiert – das heißt Techno, also Freiheit, und damit alles, was nicht nach, na ja, Dire Straits klang.
Wie das so ist mit Unterdrückung, sie funktioniert nicht. Sie gibt nur Struktur. Und eine Ausrede. Plötzlich war Tanzen nicht mehr nur Hedonismus, sondern: Haltung. Plötzlich war Rave nicht mehr nur Party, sondern: Protest. Und dann auch: die Loveparade politisch, obwohl sie aussah wie eine Mischung aus Karneval und Parship-Werbung.
Die Polizei kam trotzdem, die Medien sowieso. Im Osten gründeten sich Clubs aus Ruinen – nicht metaphorisch, sondern buchstäblich. Leerstehende Industriehallen, besetzt, bespielt. Mit Strom von irgendwo, wenn überhaupt. Türsteher auf Emma. Einlasskriterium: kein Bock auf Bundesrepublik.
Raving Bad, die Illegalität wurde zur Blaupause, das Gesetz zur Requisite. Zwischen Leerstand, Lautstärkeregler und Law-and-Order-Mief entstand das, was heute verklärt wird wie ein altes VHS-Tape mit Carl Cox und Nebelmaschine: der Club als temporäre Utopie, das Set als Gesellschaftsentwurf, die Bassdrum als politische Message, bäh!
Aus Ravern werden Väter
In Frankreich ging man noch einen Schritt weiter. Man nannte es Teknival. Free Party. Oder einfach Krieg. Ein Soundsystem gegen eine ganze Präfektur. Ein Konvoi aus Lastwagen, Generatoren und Wahnsinn. Bis zu 50.000 Menschen mitten im Nirgendwo. Natürlich ohne Genehmigung, dafür mit Dogma, mit Drogen, mit allem, was die französische Polizei hasst. Es war der feuchte Traum jedes Für-Woodstock-zu-spät-dran-Hippies.
Trotzdem wurde es still. Nicht sofort, aber langsam. Wie bei einem Track, der ausgefadet wird, weil sich keiner traut, ihn zu beenden. Irgendwann wurde das Unmögliche vermarktbar. Raver wurden Väter, Clubs wurden Brands, Subkultur wurde Kultur wurde Geschäftsmodell. Die Illegalität verschwand, oder versteckte sich besser. Zwischen noch einem Rave, noch einem Pop-up, noch einem sozialen Kapitalereignis mit Einweckgläsern, Glampingzelt und Festival-Bademänteln.
Die Kids sind eh ok
Es war die Pandemie, die alles zurückbrachte. Oder zumindest das Gefühl davon. Die Clubs geschlossen, Awareness in Quarantäne. Plötzlich erinnerte sich jemand: Man kann ja auch einfach in den Wald gehen. Man braucht nur einen Generator, eine Bluetooth-Box und einen Telegram-Kanal mit Namen wie "Rave Resistance Büttenwarder”. Schon ging wieder was. Auf Lichtungen, in Steinbrüchen, Parkdecks, Bunkern. Wo vorher Eintritt war, war jetzt Absprache. Wo vorher Gage war, Solidarität.
Während irgendwo auf Instagram noch jemand ein DJ-Set aus dem Wohnzimmer streamte, tanzten draußen Menschen in Ganzkörper-Meshanzügen zu Hardgroove. Ohne Abstand und Metaebene. Nur mit kollektivem Schulterzucken gegen die Wirklichkeit. Telegram wurde zur wichtigsten Booking-Plattform. Man brachte mit, was man hatte: einen Bollerwagen, zwei Beamer, drei Gramm Hoffnung. Aufklärung kam als Insta-Story. Awareness als Swipe-up-Link.
Das alles hatte Charme. Die Journalist:innen liebten es. Es war ja easy, fast schön. Denn wer heute illegal feiert, tut das selten aus Notwehr. Sondern aus Stil. Oder aus dem Bedürfnis, sich wenigstens irgendwo außerhalb der Feedbackschleife zu bewegen. Ironischerweise wird aber genau diese Illegalität zur Folklore. Es gibt professionelle Aftermovies mit Gimbal und Drohne und Branding-Kits für Untergrundpartys. Weil das keine Rebellion mehr ist, sondern Reality-TV für Leute mit Sendungsbewusstsein.

Ravolution, äh?
Das Geile: Es funktioniert wie gutes Privatfernsehen und also gut. Weil die Leute kommen und tanzen, als müssten sie irgendwas rechtfertigen. Ihre Miete, ihre Selbstoptimierung, ihr Bedürfnis, überhaupt noch irgendwas zu fühlen. Weil sie vergessen wollen, dass draußen nicht mehr alles zu ist, sondern offen – aber halt nur für die, die es sich leisten können. Man tanzt ja nicht mehr gegen die Normalität, sondern in ihr. Und damit auch gegen den Verdacht, dass das alles längst durchgespielt ist. Aber ey, Hauptsache der Floor ist voll.
Das ist immerhin ehrlicher als die Berghain-Schlange. Der Rave war ohnehin nie Revolution, immer nur deren Soundtrack. Die Wirklichkeit draußen blieb dieselbe, während drinnen der Kickdrum-Messianismus gepflegt wurde wie ein Bonsai-Baum aus Euphorin und Eskapismus. Heute wird dafür die Illegalität vermarktet wie vegane Wurst: rebellisch im Auftritt, konservativ im Kern. Zwischen Awareness und Afterhour bleibt ein Szenebewusstsein, das sich selbst permanent auf die Schulter klopft, weil es in der Gruppe tanzt und ab und zu eine Petition teilt.
Man feiert nämlich innerhalb der Marktlogik seiner Restanarchie. Aus dem Rave wurde ein politisch korrektes Planspiel mit Flinta*-Quota, Soli-Share und Spendenbox. Man nennt es Kollektiv, wenn vier Typen einen CDJ bedienen. Und man sagt Widerstand, wenn irgendwo eine Stroboparty gegen irgendwas gefeiert wird, während dreißig Menschen rumstehen, Sneakers für 290 Euro tragen und nervös werden, wenn das iPhone in den Stromsparmodus schaltet.
So ist das: Die neue Illegalität ist keine Bewegung. Sie ist eine Mood. Ein Instagram-Reel mit Rauschfilter. Vielleicht sogar Placebo. Sie tut ja nicht weh, sie macht nichts kaputt. Sie überlässt die Welt den anderen. Und die machen dann daraus ein Format bei Arte oder ein Panel bei der re:publica. Schließlich bleibt nichts übrig außer der Story. Und dem Gefühl, dass früher wenigstens das Scheitern lauter war.

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